Blog-Layout

Daten im Niemandsland und Zweckänderung während der Löschfrist

Eberhard Häcker • 19. Januar 2024

Der kleine feine Datentipp

Lesezeit: ca. 9 Minuten

Armbanduhr kurz nach Zwölf

Personenbezogene Daten müssten gelöscht werden, als sich plötzlich ein neuer Verarbeitungszweck ergibt. Was ist zu tun? Der Datentipp verrät Hintergründe, Risiken und Rechtliches und gibt Tipps zur Zweckänderung.


Daten nach Ablauf der Aufbewahrungsfrist


Zu Beginn ein
Fall aus der Praxis. Anfang Februar geht beim Datenschutzbeauftragten eine Nachricht der Aufsichtsbehörde ein. Es geht um Akten mit einem bestimmten Datensatz, dessen Aufbewahrungsfrist zum Jahreswechsel abgelaufen ist. Sollte die Löschung noch nicht vollzogen worden sein, möge der Verantwortliche die Akten bitte nicht vernichten. Der Aufsichtsbehörde liege ein richterlicher Beschluss vor, die Daten seien als Beweismittel in einem Strafprozess erforderlich.


Fakt war: Die Daten waren am Tag der Anfrage nicht gelöscht, die Vernichtung war binnen weniger Tage geplant. Nach eingehender Prüfung des Sachverhalts wurden die Daten gegen Quittung an die anfragende Aufsichtsbehörde übergeben. Daten aus dem Niemandsland waren einem anderen, übergeordneten Zweck zugewiesen worden.




Löschleitlinie und Löschregeln


Wer beim Löschen alles richtig machen möchte, hat eine (allgemeine) Löschleitlinie und Löschregeln (für die Fachbereiche) ausgearbeitet und diese zusammen mit den Fachbereichen mit Leben gefüllt. Für die Geschäftsprozesse hat er für die einzelnen Datenkategorien definiert, wie lange diese aufzubewahren sind, um die Geschäftsprozesse bestimmungsgemäß auszuführen. Gesetzliche Aufbewahrungsfristen sind festgeschrieben, deren Einhaltung wird überwacht. Für die Zeit nach Ablauf gesetzlicher Aufbewahrungsfristen sind Löschfristen definiert, also Zeiträume, die bis zur tatsächlichen Löschung vergehen dürfen. Und es ist klar, wie die Löschung zu dokumentieren ist und wie es begründet wird, sollten Daten zum vorgesehenen Zeitpunkt nicht gelöscht werden dürfen oder können.




Sozusagen im Niemandsland


Während der Löschfrist befinden sich Daten also "im Niemandsland". Eigentlich müssten sie gelöscht sein, aus technischen oder organisatorischen Gründen ist das aber noch nicht geschehen. Wenn zum Beispiel die Aufbewahrung von Akten zum 31. Dezember eines Jahres endet, ist davon auszugehen, dass deren Vernichtung nicht am nächsten Tag erfolgen wird, denn der 1. Januar ist bekanntermaßen ein Feiertag. Auch in den Folgetagen ist es eher unwahrscheinlich, dass die Daten fachgerecht vernichtet werden, denn um diese Jahreszeit möchten viele Verantwortliche Dokumente vernichten lassen, die Kapazitäten der Dienstleister sind jedoch begrenzt. Die Zeit bis zur tatsächlichen Vernichtung ist die Löschfrist. In dieser Zeit darf auf die Daten grundsätzlich nicht mehr zugegriffen werden. Doch was bedeutet „grundsätzlich“? Gibt es Ausnahmen?




Wenn neue Zwecke eintreten


Ergibt sich während der Löschfrist ein neuer, bis dahin unbekannter Zweck der Datenverarbeitung, gilt es, die Datenverarbeitung neu zu bewerten. Voraussetzung: Der neue Zweck ist gegenüber dem Betroffenenrecht auf Löschung übergeordnet. In der Praxis der Datenverarbeitung kommt das eher selten vor. Wenn aber ein neuer Zweck auftritt, müssen Sie schnell entscheiden. Sonst werden unter Umständen Fakten geschaffen, die nicht mehr rückgängig zu machen sind.




Was Sie bei Zweckänderungen beachten müssen


Eine mögliche Zweckänderung birgt mitunter einige Risiken. Mit ihr sind Pflichten verbunden, die zunächst widersprüchlich scheinen. Da gibt es die rechtliche Verpflichtung zur Datenlöschung nach Artikel 17 DSGVO. Die Rechte und Freiheiten betroffener Personen sind als europäisches Grundrecht auf Datenschutz (siehe Artikel 8 der europäischen Grundrechtecharta) sehr umfassend geschützt. Um zu rechtfertigen, dass eine Löschung trotz Wegfallen der Aufbewahrungsgründe nicht vorgenommen wurde, muss also ein anderes Grundrecht massiv gefährdet sein.


Im Praxisbeispiel ist hier allerdings eine neue Zweckbestimmung eingetreten: Die Daten dienen als Beweismittel in einem Strafprozess, der Zweck ist also die Sicherung der Rechtspflege. Der erlaubt es nach Abwägung der Umstände, das Aussetzen der Löschung zu rechtfertigen.




Risiken rund ums Löschen und Aufbewahren


Und wenn sich das Unternehmen im Praxisfall weigern würde, die Daten herauszugeben? Dann würde es gegen die Strafprozessordnung verstoßen (die im Übrigen nicht der DSGVO unterliegt) – ein beträchtliches Risiko. Ebenso gewagt ist es, wenn im Unternehmen keinerlei strukturiertes Löschen vorgesehen ist, wenn es also weder eine Löschleitlinie noch Löschregeln gibt und Daten Jahre nach der Aufbewahrungsfrist noch vorhanden sind. Ebenfalls erheblich ist das Risiko, wenn die Daten nicht aufzufinden sind, da sie unstrukturiert aufbewahrt werden.

quote

" Die Zeit bis zur tatsächlichen Vernichtung ist die Löschfrist. In dieser Zeit darf auf die Daten grundsätzlich nicht mehr zugegriffen werden."


Datenverfügbarkeit versus Recht auf Löschung


Bei den zahlreichen anzuwendenden Datenschutz-Vorschriften zu Aufbewahrung und Löschung personenbezogener Daten gibt es zwei Vorgaben, die sich scheinbar widersprechen. Da gibt es zum einen die Datenverfügbarkeit als wichtiges Ziel technischer und organisatorischer Maßnahmen: Daten müssen, solange sie verarbeitet werden dürfen, auch vorhanden sein. Und da gibt es zum anderen die Löschpflicht, wenn der Zeitraum geforderter Verfügbarkeit abgelaufen ist.





Mögliche neue Zwecke der Verarbeitung beachten


Wenn Daten verarbeitet werden dürfen, ergibt sich mitunter ein neuer Zweck. Man denke an Montageprotokolle. Die wären eigentlich nicht lange aufzubewahren, können aber nach vielen Jahren plötzlich wichtig werden – etwa, da ein lange verdeckter Mangel auftritt, zu dessen Aufklärung sie einen wichtigen Beitrag leisten können.




Datenschutz und die Pflicht zur Risikobewertung


Dazu kommt ein weiterer wichtiger Aspekt. Datenschutz ist gemäß Artikel 24 DSGVO als Managementsystem aufzubauen. Damit ist eine Risikoermittlung und -beurteilung vorzunehmen, denn es kommt konkret darauf an, wie groß das Risiko ist, dass ein bestimmter Datensatz für einen anderen als die bisherigen Zwecke benötigt wird. Dass durch einen richterlichen Beschluss ein bestimmter Datensatz auch nach Ende der Aufbewahrungsfrist gebraucht wird wie im hier beschriebenen Fall, hat eine eher geringe Eintrittswahrscheinlichkeit. Die neue Zweckbestimmung ist also eher nicht zu erwarten. Wenn eine neue Zweckbestimmung wegen sehr geringer Eintrittswahrscheinlichkeit nicht zu erwarten ist, liegt kein Grund vor, Daten länger als üblich aufzubewahren. Anders verhält es sich womöglich beim Beispiel mit den verdeckten Mängeln. Haben sich etwa entsprechende Protokolle mehrmals als hilfreich erwiesen, kann es geboten sein, sie länger als bisher aufzubewahren.




Tipps rund um Löschregeln und Löschleitlinien



Tipp Nr. 1

Stellen Sie sicher, dass eine Löschleitlinie vorhanden ist.

Tipp Nr. 2

Gewährleisten Sie, dass die Löschleitlinie aktuell und vollständig ist. Ansonsten ergänzen Sie sie.

Tipp Nr. 3

Legen Sie Löschregeln fest.

Tipp Nr. 4

Sorgen Sie dafür, dass die Löschregeln aktuell und vollständig sind. Wenn nicht, ergänzen Sie sie.

Tipp Nr. 5

Stellen Sie sicher, dass eintretende, bisher nicht betrachtete Risiken dazu führen, Daten aus dem Niemandsland möglicherweise länger aufzubewahren als bisher.


Allerdings: Eine solche längere Aufbewahrung personenbezogener Daten birgt immer die Gefahr, dass es zu einem Datenschutzverstoß kommt. Wägen Sie die Begründung für die längere Aufbewahrung darum sehr sorgfältig ab.

Tipp Nr. 6

Stellen Sie sicher, dass mit Daten im Niemandsland keine anderen, unbedeutenderen Zweckbestimmungen vorgenommen werden. Das beschriebene Vorgehen ist kein Freibrief für eine beliebige Verlängerung der Aufbewahrungszeiten.


Und die Kernfrage: Ist gewährleistet, dass personenbezogene Daten nicht länger als unbedingt nötig im „Niemandsland“ liegen, bei Eintritt eines übergeordneten Zweckes aber auch unter dem neuen Zweck verarbeitet werden können?


Wir wünschen viel Erfolg beim Managen von Zweckänderungen!


Bei Datenschutz-Fragen Team Datenschutz fragen.


Kontakt aufnehmen Kontakt aufnehmen

Hat Ihnen der Datentipp gefallen? Empfehlen Sie ihn weiter!

von Team Datenschutz 1. Oktober 2024
Auch in diesem Jahr ist Team Datenschutz wieder bei der 24. IDACON 2024 mit dabei. Vom 5. bis 7. November dreht sich auf dem hybriden Kongress für Datenschutz in München alles um aktuelle Entwicklungen und praxisnahe Lösungen im Datenschutz.
Interieur eines Autos
von Eberhard Häcker 23. August 2024
Sensoren und Aktoren stecken in Autos, im Smart Home, in Industrie, Medizintechnik und mehr. Sie sammeln und verarbeiten Daten, die oft mit Menschen in Verbindung stehen. Klarer Fall für den Datenschutz. 10 Tipps, um Datenpannen zu vermeiden.
von Eberhard Häcker 7. August 2024
Netzwerktopologie bezeichnet, wie Geräte in Computer-Netzwerken miteinander verbunden sind. Die häufigsten Topologien sind Stern, Ring, Bus und Masche. Dabei werden personenbezogene Daten verarbeitet. Umso wichtiger, dass Datenschutzbeauftragte sich des Themas annehmen.
Öffentliches Café am Flughafen
von Eberhard Häcker 9. Juli 2024
Wie Sie unsichere WLAN-Netzwerke erkennen und mit welchen Maßnahmen Sie Ihre Daten schützen. Unsere Tipps zu sicheren Verbindungen und Mitarbeiterschulungen.
von Team Datenschutz 26. Juni 2024
Wir laden ein zu einem spannenden neuen Datenschutz-Event: Das Fachseminar "Agile Datenschutzbeauftragte – Immer einen Schritt voraus" richtet sich an Datenschutzbeauftragte, die mit modernen, agilen Methoden den Anforderungen der veränderten Arbeitswelt begegnen und immer einen Schritt voraus sein möchten. Seminarleiter Eberhard Häcker freut sich auf den Austausch mit den Teilnehmenden.
Serverraum
von Eberhard Häcker 7. Juni 2024
Das beste Schutz gegen Angriffe auf die Unternehmens-IT ist die Härtung der Systeme – also die gezielte Absicherung von Rechnern, Servern und anderen Komponenten. Wie das geht, verrät der Datentipp!
von Eberhard Häcker 29. Mai 2024
Für Unternehmen sind angemessene Sicherheitsvorkehrungen von entscheidender Bedeutung. Das betrifft unter anderem Firmengebäude und das Firmengelände. Vom Einbruchschutz über eine resiliente IT bis zum Umgang mit Notfallsituationen – eine umfassende Sicherheitsstrategie leistet einen wichtigen Beitrag, Ihr Unternehmen vor Gefahren verschiedenster Art zu schützen. Wir geben Tipps.
von Eberhard Häcker 29. April 2024
Bei Großereignissen wie Demonstrationen, Festen oder sportlichen Ereignissen sind viele Menschen unterwegs. In der nahen Umgebung des Unternehmens können solche Events Auswirkungen haben von logistischen Herausforderungen bis hin zu möglichen Datenschutzverletzungen. 11 Tipps, wie Unternehmen sich auf solche Ereignisse vorbereiten und rechtliche Probleme umgehen.
Globus als Netzwerk
von Eberhard Häcker 5. April 2024
Wer unerlaubt in ein Netzwerk eindringt, kann erheblichen Schaden anrichten. Wie betreiben Organisationen ihre Netze in Sachen Informationssicherheit und Datenschutz rechtskonform? Mittels Network Access Control. 8 Tipps, wie Sie die Netzzugangskontrolle sicher und DSGVO-gerecht regeln.
Mehr anzeigen
Share by: